Stress gehört zum Leben. Doch wenn er zur Dauerbelastung wird, hinterlässt er Spuren: körperlich, emotional und mental. Ein erstes, typisches Stress-Symptom sind Verspannungen, ebenso Schlafstörungen, innere Unruhe oder ein andauerndes Gefühl der Überforderung. Dabei ist Stresserleben keinesfalls als eine persönliche Schwäche zu werten, sondern als eine natürliche Reaktion unseres Körpers auf Herausforderungen, die uns im Leben begegnen. Wer ein Stress-Symptom schlichtweg als ein solches erkennen kann, geht bereits einen wertvollen Schritt hin zu mehr Ruhe und Lebensqualität.
Was ist Stress? Distress und Eustress
Das Wort Stress stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Druck, Anspannung oder Belastung. Es geht zurück auf das lateinische Wort stringere, was ziehen, anspannen oder zusammenpressen meint. Zu Beginn, im 19. Jahrhundert, wurde der Begriff in der Materialkunde und der Physik verwendet. Er diente dazu, äußere Kräfte zu beschreiben, die mechanisch auf ein Objekt einwirken oder es verformen. In den 1930-er Jahren fand er durch den kanadischen Mediziner Hans Selye, dem Vater der Stressforschung, Einlass in die Psychologie. Für ihn war Stress eine Anpassungsreaktion des Menschen auf äußere Reize. Interessanterweise unterschied Selye bereits zwischen Arten von Stress:
- Distress: negativer Stress, den wir als Überforderungen erleben
- Eustress: positiver Stress, den wir als herausfordernd, aber auch als motivierend empfinden
Wie auch immer wir Stress wahrnehmen, er gehört zu jedem Leben dazu. Ohne Stress, keine Entwicklung: Führerscheinprüfung, der Umzug in eine unbekannte Stadt, der neue Job, das erste Date, die Geburt des Kindes, die Präsentation des eigenen Businessplans, die Rede vor großem Publikum. Kein Entwicklungsschritt, kein Wachstum ohne Stress statt. Auch wenn wir meistens Distress meinen, wenn wir von Stress sprechen, wirkt es doch heilsam, sich hin und wieder seiner guten Eigenschaften bewusst zu werden: Positiver Stress spornt an und motiviert, er lässt uns lebendig aufblühen und über uns hinauswachsen.

Drei Stressreaktionen: Fight, Flight, Freeze
Aber wie gehen wir damit um, wenn wir negativen Stress (Distress) erleben? Wenn wir uns von einer oder mehreren gleichzeitig oder rasch hintereinander stattfindenden Herausforderungen überfordert fühlen? Der erste Schritt ist: raus aus dem Funktionsmodus, rein in die Bewusstheit. „Wenn wir den bewussten und intelligenten Umgang mit Stress erlernen, sind wir in der Lage, ihn weitgehend zu regulieren und sein Ausmaß in Grenzen zu halten“, schreibt Jon Kabat-Zinn, der Begründer des MBSR-Stressreduktionsprogramms in seinem Buch Gesund durch Meditation (2013, O. W. Bath Verlag). „Wir können lernen, mit Veränderungen, Problemen und Stress überhaupt besser fertig zu werden. Doch dazu müssen wir zunächst einmal erkennen, wann wir unter Stress stehen.“
Also, wann stehen wir unter Stress? Das verraten uns unsere Stressreaktionen. Sie sind Teil eines uralten biologischen Erbes: Fühlen wir uns unter Druck gesetzt oder bedroht, setzt in Sekundenschnelle eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion ein: Fight oder Flight. Sind Flucht oder Kampf aussichtslos, greift der Totstellreflex, das innere Erstarren, Freeze. Dabei spielt es für uns kaum eine Rolle, ob es sich um eine tatsächliche Lebensbedrohung handelt, etwa eine riskante Situation im Straßenverkehr. Auch eine abstrakte Gefahr, die unseren gesellschaftlichen Status oder unser Selbstbild angreift, reicht aus. Denn nichts wirkt auf uns Sozialwesen so stark wie sozialer Stress. Dazu gehören: Erniedrigung, Demütigung, Benachteiligung, Ausgrenzung, verbunden mit Gefühlen von Scham und Schuld.

Stress-Symptome: Körper, Geist und Seele
Fühlen wir uns angegriffen, empfinden wir Gefühle von
- Wut, Aggression und starken Ärger (Fight)
- Angst und Panik (Flight)
- Hilflosigkeit, Ohnmacht (Freeze)
Der Körper – speziell Kiefer, Hände, Schulter und Stirn – spannt sich an. Im Gehirn und Nervensystem kommt es zu einer Reihe neuronaler Entladungen, Stresshormone werden ausgeschüttet, von denen Adrenalin und Cortisol die bekanntesten sind. Die Pulsfrequenz steigt, der Blutdruck, die Pumpleistung des Herzens erhöht sich auf das Vier- bis Fünffache. Energie schießt in die Arm- und Beinmuskulatur, macht sie einsatzbereit für Flucht oder Kampf.
Das ausgesprochen komplexe körperliche wie emotionale Stressgeschehen beansprucht das komplette vegetative Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus). Seine Steuerzentrale liegt im Hirn beim Hypothalamus, der unmittelbar mit dem limbischen System mit der Amygdala verbunden ist. Diese Hirnregion, das Reptiliengehirn, war schon bei sehr frühen Wirbeltieren vorhanden. Es ist ein blitzschneller Überlebenskünstler und evolutionär sehr viel älter als der präfrontale Kortex, der für das eher langsame verstandesgemäße Denken, rationales Planen und Kreativität zuständig ist.
Wie zeigt sich chronischer Stress?
Befinden wir uns in einem chronisch gestressten, überreizten Zustand, kann dies dazu führen, dass der Muskeltonus nicht mehr loslässt und sich einzelne Körperpartien schmerzhaft verhärten. Verspannungen sind ein typisches, frühzeitiges Stress-Symptom. Der Parasympathikus, die beruhigende Bremse des vegetativen Nervensystems, greift nicht mehr. Der Körper lässt nicht mehr los. Kombiniert mit erhöhten Cortisolwerten raubt uns das den Schlaf, was uns am nächsten Tag noch anfälliger für Stress macht. Stress zu erleben ist anstrengend und zehrt in jeder Hinsicht an unseren Ressourcen. „Es gibt zunehmend Belege dafür, dass die Dauererregung des sympathischen Nervensystems zu einer nachhaltigen Störung des Organismus führt“, erklärt Jon Kabat-Zinn. „Damit verbunden sind körperliche Symptome wie Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, entzündungsbedingte Verdauungsbeschwerden, chronische Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafstörungen und auf seelischer Ebene anhaltende Beklemmungsgefühle oder Depressionen.“
Bei dauerhafter Stressbelastung kann sich die Amygdala, der sogenannte Mandelkern, sichtbar vergrößern. Das wiederum wirkt sich auf unsere emotionale Grundkonstitution auswirkt, auf vermehrtes Angst-, Panik- und damit auch wieder Stresserleben. Zudem verengt sich unser Blickfeld, im Kampf-oder-Flucht-Reaktion sehen wir allein die Gefahr und nicht mehr all das Schöne und Gute in unserem Leben. Der präfrontale Kortex, das logische und vernünftige Denken, ist jetzt genauso ausgeschaltet wie die kreative Problemlösung und der Weitblick. Wir verlieren das Gefühl für das große Ganze, das Vertrauen ins Leben und in uns als handlungsfähigen Akteur.

Ein sozialer Reflex: Internalisieren
Obwohl wir uns in unserem zivilisierten, sicheren Alltag eher selten lebensgefährlichen Situationen – wie einem hungrigen Fressfeind – ausgesetzt sehen, sind wir jederzeit bereit, in den Kampf-oder-Flucht-Modus zu wechseln. Bei Licht betrachtet, ist das durchaus erstaunlich und lässt sich nur durch unser biologisches Erbe erklären. Damit es anspringt, genügt es, dass wir im entferntesten Sinne unserer Sicherheit, unserer Autonomie oder unseren Selbstwert – und sei dies auch nur in Gedanken – angetastet sehen. Auch unerwartete, bei näherem Hinsehen triviale Hindernisse, die uns von unserem Ziel, unserem Zeit- oder Tagesplan abbringen, reichen aus, damit wir uns in den Überlebenskampf werfen.
Womit wir allerdings auf ein Problem stoßen: Handgreifliche und streitsüchtige Verhaltensweisen sind in unserer modernen Gesellschaft ebenso wenig akzeptabel wie schreiend davon zu laufen oder sich ehrerbietig zu unterwerfen. Was also bleibt? Wir internalisieren. Wie unterdrücken Ärger und Wut, Angst und Hilflosigkeit. Konnten sich unsere Vorfahren in Kampf oder Flucht verausgaben, um danach in eine körperlich erschöpfte Erholung zu sinken, verbleiben die unter Hochdruck bereitgestellten Energien heute in unserem System stecken: Der Körper ist von Stresshormonen überflutet, der Geist aufgewühlt, Gedanken und Gefühle kreisen umeinander. Unter diesen Umständen bleibt der präfrontale Kortex abgeschaltet. Geistige Klarheit und Intelligenz, ein offenes Herz und Zuversicht? Unter diesen Umständen kaum möglich.
Impulsive Reaktionsmuster und ungesunde Bewältigungsstrategien
Grundsätzlich unterscheiden wir chronische Stressoren, die über einen längeren Zeitraum auf uns wirken, und akute. Zu Letzteren zählen der Alltagsstreit in der Partnerschaft, die Prüfungsvorbereitung auf den letzten Drücker, aber auch der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Tod eines nahestehenden Menschen. Setzen in diesen Stresssituationen, die in jedem Leben stattfinden, keine geeigneten Bewältigungsstrategien ein, sondern unbewusste, oftmals impulsive Reaktionsmuster, können aus ihnen chronische Stressoren werden.
Auf die Liste der ungeeigneten, letztlich ungesunden Umgangsformen mit Stress, zählen unaufhörliche Grübeleien und Sorgen, Arbeitswut und Hyperaktivität. Aber auch Schönfärberei, das nicht Anerkennen der herausfordernden Situation ist ein typisches Stress-Symptom. Wer weniger bei sich selbst nach einer Lösung sucht, sondern eher im Außen, greift zu Nervennahrung oder Alkohol, was kurzzeitig für Entspannung sorgt, so wie Sex, Medikamente, Drogen und Stimulanzien aller Art. Je nach Disposition wirken sie auf uns ebenso destruktiv und zersetzend wie das fortwährende Gefühl der Überforderung, der Hoffnungs- und Hilflosigkeit. Sie gelten als Vorboten der Depression und des Nervenzusammenbruchs.
„Für viele Menschen stellt die beschriebene Spirale – Stressauslöser, Stressreaktion, Internalisierung, unzweckmäßige Bewältigungsversuche, daraus folgend neue Auslöser von Stress, zusätzliche Stressreaktionen, akute Überlastung mit schlimmstenfalls tödlichem Ausgang – die normale Art zu leben dar“, fasst Jon Kabat-Zinn zusammen. „Solange man in diesem Teufelskreis steckt, scheint er der selbstverständliche Lauf der Dinge zu sein, zu dem es keine Alternative gibt.“ Das Erkennen, dass genau diese Annahme nicht stimmt, ist der erste Schritt aus der Stressspirale heraus.
Stressreduktion mit MBSR: raus aus impulsiven Reaktionsmustern und ungesunden Bewältigungsstrategien