Eine Frau mit Schmerzen liegt im Bett

MBSR bei Schmerzen: Was sagt die Wissenschaft?

Rund 23 Millionen Menschen sollen in Deutschland unter chronischen oder wiederkehren­den Schmerzen leiden: vor allem im Rücken, Kopf, Nacken oder an den Knien. Wie MBSR bei Schmerzen helfen kann, welche Studien vorliegen oder neu entstehen, darüber berichtet der MBSR-MBCT-Verband regelmäßig (etwa in diesem Artikel). Warum das Thema chronischer Schmerz aber so maßgeblich in der gesamten Geschichte von MBSR ist und wo sich hier moderne Wissenschaft und uralte Weisheitstradition treffen, darum soll es jetzt gehen.

Speziell für Schmerzpatienten: die Entstehung des MBSR-Programms

Als Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn vor über 40 Jahren das MBSR-Programm (Mindfulnes-Based Stress Reduction) entwickelt, da tat er dies für die austherapierten Schmerzpatienten, die in seiner Klinik nach Hilfe suchten. In den vielen Jahren, in denen er daraufhin die US-amerikanische Stress Reduction Clinic am University of Massachusetts Medical Center in Worcester leitete, nahmen mehr als 25.000 Menschen am MBSR-Kurs teil.

Es ist leicht vorstellbar, dass Menschen, die unter chronischen körperlichen Schmerzen leiden, einem massiven Stresserleben und Leidensdruck ausgesetzt sind. Als sei dies nicht schon genug, können aus ihnen zudem psychologische Erkrankungen – wie Depressionen und Angststörungen – resultieren. Kabat-Zinn erzählt in seinem Buch Gesund durch Meditation, das 2013 überarbeitet im O. W. Bath Verlag erschien, eindrucksvoll von seinen Patienten, die letztlich alle dem heutigen MBSR-Training Pate gestanden haben. So gesehen ist die Forschung zur Wirksamkeit von Meditation und MBSR bei Schmerzen eine maßgebliche in der Geschichte dieses Achtsamkeitstrainings.

Eine Frau mit Schmerzen liegt und guckt
Exkurs: Schmerz und Leid in der buddhistischen Weisheitslehre

Das MBSR-Programm wurde bewusst säkular ausgerichtet, das ihm innewohnende Prinzip der Achtsamkeit wurzelt jedoch in der 2.500 Jahre alten Weisheitstradition des Buddhismus. Dieser unterscheidet feinsäuberlich zwischen Schmerz einerseits und Leid andererseits: Schmerz erleben wir alle im Laufe unseres Lebens, physisch wie psychisch. Krankheit, Verlust, Enttäuschung, Vergänglichkeit – das menschliche Dasein bringt Schmerz mit sich. Schmerz ist unvermeidbar. Anders ist dies mit Leid: Zu ihm führen, so die buddhistische Lehre, erst unsere Reaktionen auf erlebten Schmerz. Leid ist geprägt von Bewertung, Widerstand und Ablehnung, aber auch von Zorn, Angst, Schuld, Trauer, Neid und nicht zuletzt Selbstmitleid.

Ein buddhistisches, vielfach zitiertes Gleichnis (Sallatha Sutta), das den Unterschied zwischen Schmerz und Leid noch einmal verdeutlicht, ist das von den zwei Pfeilen: Demnach führt der erste Pfeil, der uns im Laufe des Lebens zwangsläufig trifft, zu Schmerz. Ob wir ihm allerdings einen zweiten Pfeil, der uns Leid bringt, hinterherschicken, liegt in unserer Hand. Schmerz ist unvermeidbar, Leid nicht. Hierfür ein Bewusstsein zu entwickeln, ist Herzstück der Achtsamkeitspraxis.

Eine Frau mit Schmerzen liegt und guckt
MBSR bei Schmerzen: Forschungsergebnisse

Jon Kabat-Zinn geht in seinem Buch „Gesund durch Meditation“ detailliert auf einige Forschungsarbeiten zu MBSR bei Schmerzen ein, so etwa zwei Studien der University of Wisconsin: Bei der ersten Untersuchung [1] versetzten die Wissenschaftler den Teilnehmern – einer kleinen Gruppe von langjährig Meditierenden und einer Kontrollgruppe – einen typischen Schmerzreiz (üblicherweise ist dies ein Hitze- oder Kältereiz). Es zeigte sich, dass die neun Probanden mit Meditationserfahrung erheblich weniger Unbehagen empfanden als die der zehnköpfigen Vergleichsgruppe. Bei der zweiten Studie aus Wisconsin [2] wollten die Forscher dann wissen, welche Hirnaktivität in Zusammenhang mit diesem Erleben steht. Es kam zu einer ähnlichen Versuchsaufstellung und zu dem Ergebnis, dass „offenbar die Probanden aus der Gruppe der Meditierenden eher in der Lage waren, während der Tests im gegenwärtigen Augenblick zu bleiben“, so Kabat-Zinn. Damit vermieden sie eine furchtsame Erwartungshaltung und „damit fiel auch die Reaktion auf den Schmerzreiz geringer aus“.

In einer weiteren Studie [3], die an der Université de Montréal entstand, wurden 17 langjährig Zen-Meditierende und 18 Kontrollpersonen gegenübergestellt. Hier zeigte sich, dass bei den Probanden mit Meditationserfahrung sowohl das erlebte Unbehagen als auch die Schmerzintensität reduziert ausfielen. Außerdem wiesen Hirnregionen, die mit dem Schmerzerleben in Verbindung stehen, ein erhöhtes Gewebsvolumen auf.

Fazit: Differenzierte Schmerzerfahrung reduziert Leidensdruck

Da auch das Forscherteam um Kabat-Zinn in den 1980-er Jahren verschiedene Studien [4] mit Schmerzpatienten durchführte, immerhin nahmen Tausende in seiner Klinik am MBSR-Programm teil, kommt er zu dem Schluss, „dass bei der Schmerzerfahrung verschiedene Dimensionen beteiligt sind – die sensorische, emotionale und kognitive –, von denen jede auf ihre Weise zu dem Leidensdruck beiträgt.“ Wer sich beim Lesen dieser Aussage das oben beschriebene Gleichnis von den zwei Pfeilen in Erinnerung ruft, wird es in jedem Wort durchschimmern sehen. „Wenn es uns gelingt“, bilanziert der Autor weiter, „zwischen diesen verschiedenen Komponenten der Gesamterfahrung Schmerz zu differenzieren, wie wir es in der MBSR-Praxis lernen, dann können wir auch den Leidensdruck, der auf uns lastet, erheblich verringern.“

Noch mehr MBSR: Podcast-Tipp

Wer sich weiter zu MBSR bei Schmerzen schlau machen möchte, kann bei Dr. Boris Bornemann, Diplom-Psychologe und MBSR-Lehrer, reinhören.