Eine Tätigkeit, die in Achtsamkeit ausgeführt wird, wird in gewisser Weise zur Meditation. Für Achtsames Yoga gilt dies ganz besonders. Als eine Form der bewegten Körpermeditation gehört sie in jeden MBSR-Kurs. Viele Kursteilnehmer, die so zum ersten Mal die Welt der Asanas kennenlernen, finden hier die Meditationsform ihres Lebens – oftmals zu ihrer eigenen Überraschung. Achtsames Yoga erneuert die Lebendigkeit und erdet zutiefst im Hier und Jetzt: im eigenen Körper und im gegenwärtigen Moment.
Die Welt des Yoga ist eine große – und eine alte. Wer sich mit ihr näher beschäftigt, wird bald feststellen, dass der langläufige Begriff Yoga für eine komplexe Lebenspraxis steht. Sie besteht aus einer eigenen Philosophie und Körperlehre, die in der hinduistischen Kultur Indiens beheimatet sind, speziellen Atem- und Meditationstechniken und eine Vielzahl von Übungen und Haltungen, den sogenannten Asanas. In unseren Breitengraden ist vor allem dieses körperliche, bewegte (Hatha-)Yoga gemeint, wenn von Yoga gesprochen wird.
Wobei auch hier gilt: Wenn zwei Menschen von sich behaupten, Yoga zu betreiben, können sie etwas sehr Unterschiedliches meinen. Die in Yoga-Studios angebotenen Stile können dynamisch bewegt, kräftigend und fast schon akrobatisch daherkommen, aber genauso regenerierend, nahezu unbewegt, bis tief in das fasziale Bindegewebe hinein dehnend und lösend.

Der Begriff Yoga stammt aus dem Sanskrit, einer altindischen Sprache, und bedeutet so viel wie Joch. Mit einem Joch können zwei Zugtiere verbunden und vor einen Wagen gespannt werden. Damit verweist Yoga auf die Vereinigung von Geist und Körper.
Die regelmäßige Praxis daheim, die im MBSR durch Videoanleitungen unterstützt wird, macht Achtsames Yoga erst lebendig.

Das Wesen des Achtsamen Yogas
Beim Achtsamen Yoga, wie es im MBSR praktiziert wird, werden eine Reihe von klassischen Dehn-, Kräftigungs- und Gleichgewichtsübungen in einer festen Folge ausgeführt. Durch den immer gleichen Ablauf spielen sich die Asanas leicht ein, so dass sich der Fokus auf das bewusste Spüren und die Betrachtung innerer Vorgänge verlegen kann. Viele Menschen schließen während der langsam ausgeführten Praxis ihre Augen, um so ihren Körper, aufkommende Gedanken, Stimmungen oder Gefühle besser wahrnehmen zu können.
Wem sich also allein bei der Vorstellung, Yoga machen zu sollen, Schweißperlen auf der Stirn bilden, darf sich gleich wieder entspannen: Achtsames Yoga stärkt, dehnt und mobilisiert den Körper nachhaltig, das ja, die Praxis im MBSR ist aber ausgesprochen freundlich, spürend und acht gebend. Eben achtsam. Vorkenntnisse aus dem Yoga-Unterricht, eine besonders sportliche Konstitution oder Elastizität sind deshalb nicht notwendig.
Bewusst Grenzen erfahren
Wer Achtsames Yoga praktiziert, der arbeitet fortwährend an und mit seinen Grenzen: Da werden Komfortzonen verlassen, innere Räume ausgebaut, überkommene Selbstbilder abgelegt (häufig entstammen sie einem Sportunterricht, der Jahrzehnte zurückliegt), aber auch ehrgeizige Antreiber eingefangen, Ungleichgewichte ausbalanciert, Stressmomente bewusst erlebt, Grenzen respektiert, ihre Überschreitungen korrigiert – und nicht selten ungeahnte Kontinente erobert.
All diese Erfahrungen gehen, der ein oder andere wird es schon ahnen, einher mit einer Vielzahl von Gedanken, mentalen Konstruktionen, Emotionen, mit fortwährend kreisenden inneren Dialogen und zuweilen selbstbeschränkenden Stimmen. All diese Vorgänge wahrzunehmen, den Geist zu betrachten, zu seinen Gefühlen zurückzufinden, ist Achtsames Yoga – ist Meditation. Dabei unterstützt uns, wie kein Zweiter, der eigene, stets präsente, unendlich gutmütige Körper. Es gibt einen Satz, den guten Yoga-Lehrern immer wieder über die Lippen kommt. Er lautet: „Es gibt nur einen Yoga-Lehrer und das ist dein eigener Körper.“

Die bewusste Atmung, das sogenannte Pranayama, spielt im Yoga eine bedeutungsvolle Rolle. Während es bei der Wechselatmung, hier im Bild, darum gehen, den Atem zu steuern, dient er beim Achtsamen Yoga vor allem als Fokuspunkt für die meditative Betrachtung.
Ein besonders regenerativer, erdend wirkender Stil ist der des Yin Yogas. Der Körper verweilt in jeder Asana für einige Minuten, gut gestützt und gepolstert. Yin Yoga gilt wie Achtsames Yoga als eine Form der Körpermeditation.

Atem als bewusster Anker
Allen Yoga-Stilen gemein ist die hohe Bedeutsamkeit des eigenen Atems. Jede Bewegung, etwa das Senken und Heben der Arme, geschieht im Atemrhythmus. Er führt die Bewegung an. Mehr noch: Der Atem kommt der Bewegung einen Hauch zuvor, so dass sich ganz von allein ein inneres Lauschen einstellt – und mit ihm Bewusstheit.
Im Achtsamen Yoga arbeiten wir mit dem Atem, indem wir uns in seinem Rhythmus bewegen, ihn aber auch in die Körperregionen schicken, die gerade einen Dehnungsreiz erfahren oder die einen Schmerz mitbringen. Warum? Wenn wir uns vorstellen, diese Stelle zu beatmen, dann sammeln wir dort unser Bewusstsein. Im bewussten Atem findet sich auch das verbindende Element zu anderen Meditationsformen: der Sitzmeditation, dem Body-Scan oder der Gehmeditation. Überall bildet der Atem den Anker. Zu ihm kommen wir zurück, wenn wir uns verloren haben. An ihm finden wir Halt, wenn es schwer wird.
Wozu führt Achtsames Yoga?
Achtsames Yoga entspannt, kräftigt, flexibilisiert und lockert den ganzen Bewegungsapparat, denn ähnlich wie beim Schwimmen wird dieser komplett integriert. In der Regel lösen sich Verhärtungen und Verspannungen im Laufe der Praxis ganz von allein, dafür stellt sich eine beglückende Lebendigkeit ein. Sie ist vielleicht das Bemerkenswerteste: dieses Gefühl, nach den Übungen entspannt zu sein, leicht, aber auch voller Energie und regeneriert, selbst wenn zuvor die Erschöpfung dominierte und man sich zum Yoga regelrecht aufraffen musste. Zudem wirken sich die Asanas, die Haltungen, wie sie auch genannt werden, auf den Geist aus. Nach der Praxis schein er frisch aufgeräumt. Klar, gesammelt, ruhig.
Achtsames Yoga schafft eine neue Vertrautheit mit dem eigenen Körper und vergrößert das Vertrauen in die uns umgebende Welt. Mit der kontinuierlichen Praxis stellt sich das wohltuende Gefühl ein, den eigenen Körper komplett zu bewohnen, ihn bis in den letzten Winkel ausfüllen, wirklich an-wesend zu sein. Das Wort hierfür ist Präsenz.

Erdung in einer aus dem Lot geratenen Welt
Im Achtsamen Yoga liegt etwas ungemein Zeitgemäßes. Denn in unserer technisierten, digital entrückten Alltagspixelwelt spielt unser Körper kaum noch eine Rolle. Aber wer seine Glieder nicht spürt, seine Sinnesorgane nicht, seine Kreisläufe, seine Muskulatur, seine Statur, sein Dasein, der ist auch nicht im Kontakt mit seinem Körpergewahrsein und seinen Gefühlen.
Dass da Einiges aus dem Lot geraten ist, dass wir den Kontakt zu unserer höchst eigenen Natur verloren haben, zeigt sich manchmal erst dann, wenn wir krank werden. Wenn der Körper als Vehikel, als Ressource, der wir uns bedienen, nicht mehr funktioniert. Oder wenn sich psychische Störungen einstellen, Ängste, chronische Verstimmungen, wenn wir vereinsamen, unverbunden leben, wie unter einer Glocke, wenn uns nicht nur die körperlichen Sinne, sondern auch der Lebenssinn abhanden kommt.
Achtsames Yoga als Meditation in motion
Achtsames Yoga ist Meditation in motion. Und genau deshalb ist es für viele Menschen wertvoll, die mit der stillen Sitzmeditation hadern, da sie leicht wegdämmern oder ihr Körper schmerzhaft rebelliert. Viele Menschen, die durch einen MBSR-Kurs Achtsames Yoga kennengelernt haben, finden darin die Meditationsform ihres Lebens.
Durch den Körpereinsatz, die Bewegung besitzt sie etwas sanft Fließendes, Organisches und damit eine Güte, die in jeder Pore gut tut. Zudem ist dieser Praxis etwas zueigen, das sich am besten mit dem etwas altertümlichen Begriff der Leibhaftigkeit beschreiben lässt. Achtsames Yoga erdet auf direktem Wege. Es ist handfest. Bodenständig. Echt. Weil niemand ist so ehrlich zu uns wie unser eigener Körper.