Jugendlicher Mann betreibt Atemmeditation mit Kopfhörern auf den Ohren und einer Hand auf der Brust

Der Klassiker: Atemmeditation. Immer und überall dabei

Unter den vielen bewegten und stillen Meditationsformen, die es auf der Welt gibt, ist die Atemmeditation so etwas wie der Klassiker. Das bewusste Atmen, das formell in einer Meditation oder informell im Alltag praktiziert werden kann, verankert das Bewusstsein im Körper und in der Gegenwart. Warum das so wichtig ist? Eine Spurensuche, die bei uralten Schöpfungsmythen beginnt und beim autonomen Nervensystem endet.

Die Atemmeditation gehört zur sogenannten Aufmerksamkeitsfamilie. Bei dieser Gattung geht es darum, den Geist zu sammeln, indem man ihn auf einen Fokuspunkt ausrichtet. Dies kann die Flamme einer Kerze sein, der Klang eines fortwährend rezitiertes Mantras oder eben der eigene, stets präsente Atem. Als Meditationsobjekt mag er auf den ersten Blick etwas belanglos erscheinen – der Atem ist eben da. Beim genaueren Hinsehen entpuppt er sich jedoch, so wie auch Herzschlag und Puls, als Grundrhythmus des Lebens. Solange wir leben atmen wir. Und umgekehrt.

Der Atem in den Schöpfungsmythen

Der Atem ist so sehr mit Geburt und Tod, mit Werden und Vergehen verbunden, dass man nicht lange suchen muss, um ihn in den Schöpfungsmythen der Weltreligionen wiederzufinden. Im Hinduismus etwa, auf dem sich die Lebensphilosophie des Yoga ebenso gründet wie der Buddhismus, haucht der Schöpfergott Brahman dem Menschen seinen Atem ein: Atman. Atman ist der Wesenskerns des Menschen, in ihm ist er verbunden mit Brahman, seinem Schöpfer.

Wer in unseren Breitengraden als Christ lebt oder als solcher sozialisiert wurde, mag sich bei diesen Zeilen eigentümlich erinnert fühlen. Denn ein ganz ähnlicher Schöpfungsmythos findet sich in der Genesis, also dem Eröffnungsteil der christlichen und auch jüdischen Bibel: Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Skulptur aus Stein mit violetten Blüten
Um den Atem drehen sich die großen Menschheitsgeschichten. Besonders der Bauchatmung wird in vielen Weisheitstraditionen – im Zen oder im Yoga – eine zentrale Rolle zugesprochen.
Ein Faszinosum im Nervensystem

Auch biologisch betrachtet besitzt die Atmung eine herausgehobene, faszinierende Stellung innerhalb unseres autonomen Nervensystems. Dieses funktioniert autonom, weil wir es – eigentlich – nicht willentlich steuern können. Unser Herzschlag gehört beispielsweise zum autonomen Nervensystem, unsere Verdauung und andere lebenswichtige Organfunktionen. Sie alle laufen automatisch ab. Nur die Atmung macht die Ausnahme.

Natürlich verläuft auch sie spontan und selbstständig ab, wir müssen uns nicht fortlaufend daran erinnern, zu atmen. Aber wir vermögen unsere Atmung auch zu beeinflussen, indem wir bewusst Atem schöpfen: Wir können unsere Atemzüge vertiefen, bewusst verlangsamen, sie beschleunigen und sogar für einige Zeit, etwa beim Tauchen, anhalten. Im Pranayama, einer yogischen Atemtechnik, wird dies seit Jahrhunderten praktiziert, um das autonome Nervensystem aktiv zu beeinflussen – denn dieses hat entscheidend viel mit Stress und Entspannung zu tun. Durch ruhige Bauchatmung lässt es sich ganz bewusst herunterfahren und so auch für die Meditation nutzen.

Wie geht Atemmeditation?

Die stille Atemmeditation wird an einem ruhigen, ungestörten Ort praktiziert. Die Morgenstunden eignen sich für viele, der Geist ist nun munter, aber auch noch ruhig und klar. Anfangs genügen zehn Minuten, mit zunehmender Übung kann die Atemmeditation beispielsweise auf 30 Minuten ausgedehnt werden. Ihre Wirkung basiert weniger auf Länge denn auf Regelmäßigkeit.

Der Meditierende sitzt in einer aufrechten, aber entspannten Haltung auf einem Sitzkissen oder auch Stuhl. Stabil und bequem. Die Hände ruhen auf den Beinen oder im Schoß, die Augen sind geschlossen oder gesenkt. Neben der äußeren Haltung zählt die innere: Sie ist wach und konzentriert, aber auch freundlich und akzeptierend gegenüber sich selbst und allen Phänomenen, die während des Sitzens auftauchen.

Ein sportlicher Mann im Schneidersitz übt Atemmeditation
Anfangs hilft es in der Meditation, eine Hand auf die Körperregion zu legen, in der die Atembewegung besonders deutlich spürbar ist.

Die Atemmeditation beginnt mit dem bewussten Spüren des eigenen Körpers, seinen Kontaktstellen zu Sitzunterlage und Boden. Loslassen, entspannen, verankern. Erst dann richtet der Meditierende seine Aufmerksamkeit bewusst auf eine Körperregion aus, in der sich der Atem spürbar wahrnehmen lässt: auf die Brust, die Nase oder den Bauch. Dabei fließt der Atem natürlich weiter, er wird nicht gesteuert oder kontrolliert. Die Atembeobachtung geschieht in einem Gefühl von freundlicher Gelassenheit. Entscheidend ist das Spüren der eigenen Atembewegung, nicht etwa das Nachdenken darüber.

Schweift die Aufmerksamkeit ab, da Gedanken auftauchen, Gefühle, Stimmungen oder ablenkende Körperempfindungen, dann ist dies normal. Der Meditierende nimmt die Ablenkung schlichtweg wahr und bringt seine Aufmerksamkeit entschieden, aber ohne Vorwurf zum Atem zurück. Der Moment, in dem dies geschieht, ist ein Moment der Geistesgegenwart und der Achtsamkeit – und darauf kommt es bei der Atemmeditation letztlich an.

Sollte der Geist einmal sehr unruhig sein, lässt er sich sammeln, in dem der Ausatem – möglicherweise immer wieder – von 1 bis 5 gezählt und ganz bewusst bis zu seinem Ende wahrgenommen wird. Die Meditation endet, indem die Aufmerksamkeit vom Atem zum ganzen Körper und schließlich zu dessen Position im Raum zurückwandert.

Wohin führt Atemmeditation?

Wer seinen Atem bewusst wahrnimmt und in seinem Körper spürt, der erfährt das Leben. Real und gegenwärtig. Belastende Gefühle, negative Gedanken und Stimmungen, sogar Schmerzen verlieren an Bedeutung, wenn die Dimension des Seins an Kraft gewinnt. Um dies aber wirklich verstehen und nachvollziehen zu können, bedarf es der eigenen Erfahrung.

Das bewusste Atmen, das formell in einer Meditation oder informell im Alltag praktiziert werden kann, verankert das Bewusstsein im Körper und damit im Hier und Jetzt. Nur in der Gegenwart pulst das echte Leben – und nur ihm können wir letztlich begegnen. Wer sich hingegen im ständigen Reagieren, in äußeren, schnell vergänglichen – digitale – Reizen verliert, in eigenen Erinnerungen (Vergangenheit), Plänen und Vorstellungen (Zukunft) ergeht, der verliert sich in der instabilen, oft überfordernden Welt der Gedanken und damit verbundenen Emotionen.

Im bewusste Erleben des Atems findet sich innere Sammlung, Stabilität, Ruhe, Klarheit und damit Weitsicht. Hieraus lässt sich selbstbestimmt entscheiden und bewusst handeln – vielleicht sogar ein ganz eigenes Leben schöpfen.